Depression im Heidekreis

Wir leben zwischen Elbe und Weser, zwischen Hannover und A1. Daraus entstehen ein paar besondere Notwendigkeiten. Die Landflucht betrifft vor allem die Jugend, doch die Mietpreise haben einen Riegel davor geschoben. Die Läden stehen leer, Häuser verfallen, und trotzdem steigen die Preise weiter. Es ist schwer, hier nicht verrückt zu werden. Die überfüllten Psychiatrien und Therapeuten sind ein Indiz, auch die Walsroder Zeitung ist tägliches Zeugnis des kollektiven Wahns und die digitalen Medien sowieso. Es gibt hier keine Jugendzentren, keine Hochschule (außer für Polizisten), keine queeren Kneipen, nicht mal mehr eine Disco. Dafür gibt es „Omas und Opas“, die ihre Dörfer rollstuhlgerecht erneuern, Propaganda „for future“ oder „gegen rechts“ machen. Ihre Verachtung der Jugend ist unverhohlen, ihre Antwort „gegen rechts“: ein noch stärkerer Staat.

Die Zuzügler erscheinen fast allesamt wie Beamte, die sich ein verfallenes Fachwerk als Idylle auf dem Land erstanden, und den Unterschied zwischen Agrikultur und Natur noch lernen müssen. Es ist wohl die einzige Weltgegend, in der das Niedersachsenlied gesungen und „wir sind die Niedersachsen“ wirklich geglaubt wird. Vielleicht ist es gut, dass unsere Heimat den Rang einer zivilisierten Nation nie errungen hat. Franken, Sachsen, Hansen, Franzosen und nicht zuletzt die pomadischen hannoverschen, preussischen, „deutschen“ Königshäuser und Nationen haben uns geschachert und zuletzt noch als Truppenübungsplatz und Ölpumpstation für würdig befunden. Es ist das Land mit den längsten Autobahnstrecken ohne Abfahrt und Geschwindigkeitsbegrenzung, mit dem größten Truppenübungsplatz und der schmalsten Eisenbahnschiene.

 

Stolz repräsentieren wir den nördlichsten Teil Südfrieslands!

 

Es hilft jedenfalls nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Es gibt Selbsthilfegruppen und Gewerkschaften! Und es ist kein Hexenwerk, sich selber zu organisieren. Im Gegensatz zu den sozialen Medien steckt darin die Möglichkeit, sich am eigenen Schopfe zu packen und den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

4 thoughts on “Depression im Heidekreis

  1. Ich finde das „Wir“ des Textes schlecht.
    Es gibt kein Wir der „Heidjer“, und schon gar keines der „Südfriesen“. Der Galerist vermutet lokalpatriotische Instinkte oder versucht sie erst herzustellen. Damit unterscheidet er sich nicht von den Algorhytmen der SM, die er doch selber denunziert.
    Dazu kommt, dass dieses „Wir“ sehr passiv erscheint; wir Südfriesen als Opfer der Deutschen usw. Das ist erstens empirisch falsch, weil es kaum Friesen gibt, die nicht auch sehr gerne Deutsche sind und die Nation sehr gerne haben. Und selbst wenn nicht, ist diese „Opferpose“ zweitens kaum geeignet, um „proaktiv“ an den depressiven Zuständen etwas zu ändern.

    Außerdem ist nicht klar: wodurch oder wozu soll das „Wir“ motiviert werden?
    Ich behaupte: das „Wir“ ist allgemein zu einem Ersatz des Ich geworden. Der Galerist baut auf eins dieser dumpfen Kollektive in oder neben den anderen dumpfen Kollektiven. Damit hat er zwei Ideen der Aufklärung aufgegeben: selbstbewusste Individualität und Zivilisation.

    1. Na, mach mal halblang. Die Punkte finde ich allesamt wichtig und diskutabel – von mir aus gleich heute Abend oder lieber morgen.

      Zwei Punkte hier nur kurz:
      erstens habe ich mich ein bisschen der Dialektik bedient, sodass ich im umgekehrten Falle auch recht behalte; nämlich dem, dass wir – Du und ich, zwei Individuen – in einer zivilisierten Nation leben.
      Zweitens wurde die Passivität nicht von mir erfunden, und meinst Du nicht, dass wir neue Motivationen suchen und finden müssen?!? Mir hängen die politischen Diskussionen zum Halse raus. In wenigen Schritten landen sie doch immer bei der Bundesregierung oder den Präsidenten irgendwelcher Weltmächte. Klar gefährden diese Typen die Zivilisation, doch die Hoffnung auf und Agitation für eine bessere oder weniger üble Regierung ist doch Passivität par excellence! „act local“ heißt imho nicht, in jedem Kaff denselben scheiß zu diskutieren, wie die Parteizentralen in Berlin, sondern dass wir uns mit dem Material beschäftigen, das es hier vor Ort gibt.

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